Reuse- und Zero Waste-Lösungen in einem mehrfach ausgezeichneten Projekt „Eine Schule für die Kinder aus der Ukraine“ – Interview mit den Macherinnen Im Jahr 2022, nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, haben wir an einem zwei Monate dauernden, wohltätigen Projekt „Eine Schule für ukrainische Flüchtlingskinder“ in Warschau teilgenommen. Die Bildungseinrichtung, die von XYstudio in Zusammenarbeit mit Magda Garncarek von der Stiftung „Wir öffnen die Schulen“ [Otwieramy Szkoły] entworfen wurde, besteht aus 11 Klassenräumen für insgesamt 200 Kinder.

Im adaptierten Bürogebäude entstanden zudem zwei psychologische Sprechzimmer, Verwaltungsräume, Gemeinschaftsräume sowie Entspannungs- und Ruhezonen. Die Schule war eine Bottom-up-Initiative, zu deren Verwirklichung Dutzende von Unternehmen und viele Freiwillige beigetragen haben. Wir als VANK haben unter anderem Möbel zur Verfügung gestellt, wie Hocker, Stühle und Tische, und uns an der Montage beteiligt. Bei der Einrichtung der Räume verwendeten wir farbenfrohe Stoffreste, die aus früheren Aufträgen übriggeblieben sind, und Möbel aus Restbeständen, die ansonsten entsorgt müssten. Auf diese Art und Weise ist ein kinderfreundlicher Raum entstanden, der die Prinzipien Re-User und Zero-Waste verwirklicht hat.

Dorota Sibińska

Absolventin der Fakultät für Architektur und Stadtplanung an der Technischen Universität Warschau. Seit 2004 leitet sie zusammen mit M. Nowosielska und F. Domaszczyński das Architekturbüro XYstudio, das sich auf die Gestaltung von Gebäuden für Kinder spezialisiert hat. Das XY-Studio ist mehrfacher Gewinner des Architekturpreises der polnischen Zeitschrift Polityka, des Wettbewerbs „Leben in der Architektur“ [Życie w Architekturze] in den Jahren 2015-2020, des Architekturpreises des Warschauer Präsidenten und erhielt die Auszeichnung „Liebling der Einwohner“ der Stadt Warschau. 2019, 2020 und 2021 wurden die Leistungen mit dem Titel „Leaders für Barrierefreiheit“ gewürdigt, welcher von der Stiftung Integration [Fundacja Integracja] verliehen wird. Die Projekte von XYstudio wurden auch für den europäischen „Mies van der Rohe Award“ nominiert. Das Architekturbüro konzentriert sich dabei auf die Bedürfnisse der Menschen und fördert sozial verantwortliche Architektur.

Magda Garncarek

Soziologin, die sich mit Strategie, Kommunikation und Projektmanagement in Design und Architektur beschäftigt. Sie ist davon überzeugt, dass dies großartige Instrumente sind, um die Qualität unserer alltäglichen Erfahrungen zu beeinflussen. Sie hat die Kampagne „Wir öffnen die Schulen“ ins Leben gerufen, in deren Rahmen - dank der gemeinsamen Anstrengungen von Architekten, Unternehmen und Freiwilligen - in einem Warschauer Bürogebäude eine Schule für 300 Kinder aus der Ukraine eingerichtet wurde. In der Fortsetzung des Projektes will sie sich nun mit den Räumen polnischer Schulen befassen, um Zukunftskompetenzen, wie Zusammenarbeit, Kreativität oder kritisches Denken, zu entwickeln und die lokalen Gemeinschaften zu unterstützen.

 

VANK: Die Schule für Kinder aus der Ukraine, die unmittelbar nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges im Bürogebäude myhive Mokotów Two eingerichtet wurde, hat in diesem Jahr sowohl den Sonderpreis der Zeitschrift SALON für neue Standards in der sozial engagierten Architektur, als auch eine Auszeichnung des polnischen Architektenverbands SARP und den Architekturpreis des Warschauer Präsidenten für umweltfreundliche Lösungen erhalten. Diese Initiative wurde auch von den Einwohnern der polnischen Hauptstadt als das wichtigste Projekt des Jahres 2023 auserkoren.Welche umweltfreundlichen Maßnahmen haben Sie bei der Umsetzung dieses Projekts, abgesehen von der Anpassung der bereits bestehenden Büroflächen, angewandt?

Dorota Sibińska: Zunächst einmal haben wir uns nach den Prinzipien Reuse und Zero Waste gerichtet. Das lag insbesondere daran, dass für dieses Vorhaben kein Budget zur Verfügung stand, was im Umkehrschluss zu seinem größten Vorteil wurde. Die Situation hat uns zu dem Versuch gezwungen, dieses Projekt ohne jegliche Finanzunterstützung zu realisieren und deswegen nach alternativen Lösungen zu suchen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass eine Schule in einem bereits bestehenden Gebäude, also in diesem Fall Räumlichkeiten, die zuvor als Büros genutzt wurden, ein hervorragender Ort für derartige bauliche Anpassung ist. Die Mitarbeiter und die weniger erwachsenen Schüler haben doch ähnliche Bedürfnisse. Wir haben entschieden, uns an diesem Gedanken zu orientieren. Während der Pandemiezeit haben viele Unternehmen Online-Arbeit eingeführt, wodurch leere Räume entstanden.

Von einigen Unternehmen, wie z. B. VANK, haben wir Möbel aus Restbeständen erhalten. Von anderen Firmen, die zufälligerweise gerade umgezogen waren, haben wir vollwertige gebrauchte Möbel erhalten, die ansonsten auf der Mülldeponie gelandet wären. Auf diese Weise sind wir in den Besitz verschiedenster Möbelsets gekommen, mit denen wir nacheinander die einzelnen Klassenzimmer ausgestattet haben. Die größten Probleme bereiteten uns die Möbel für die jüngeren Kinder. Wir haben die Bildungseinrichtungen vor Ort gefragt, ob sie Möbel zu verschenken oder auszuleihen hätten. Auf diese Weise haben wir die Einrichtung der Klassenzimmer für die jüngsten Schüler und Schülerinnen vervollständigt.

Von da an wurde es einfacher. Wir haben die Fußböden mit Teppichresten aus alten Musterbüchern und die Wände mit Produktionsresten von Wandtapeten, Fototapeten und akustischen Stoffen ausgekleidet. Bei der Gestaltung war es uns besonders wichtig, so wenig wie möglich in die bestehende Raumaufteilung einzugreifen, da jede neu errichtete Wand weitere Kosten verursacht, und jede abgerissene Wand wiederum Bauabfall bedeutet, die wir eigentlich reduzieren wollten. Freiwillige haben ihre private Zeit in dieses Projekt eingebracht – sie haben entworfen, geliefert, gebaut. Und das alles pro Bono, alles aus dem inneren Wunsch heraus, anderen zu helfen.

VANK: Wie gehen Sie mit dem Einsatz von überflüssigen Ressourcen oder dem Re-Use-Trend in der Architektur und Innenarchitektur um? Beabsichtigen Sie, ähnliche Lösungen in zukünftigen Projekten anzuwenden?

D.S.: Unsere Arbeit ist auf eine unglaublich positive Resonanz gestoßen. Viele Menschen fragen uns bis heute, warum es nicht möglich sei, andere Einrichtungen auf diese Weise auszustatten. Uns ist klar geworden, dass riesige Mengen von Möbeln weggeworfen werden und dass es an Möglichkeiten fehlt, ihnen ein zweites Leben zu geben. Zumal sind die Möbel, um die es hier geht, oft nur drei bis vier Jahre alt und in einem sehr guten Zustand. Heute wissen wir bereits, wie wir danach suchen müssen. Viele fragen uns auch, ob diese Lösung auch in öffentlichen Einrichtungen angewandt werden kann, und hier muss ich leider alle enttäuschen - sie kann es nicht, in der Ausschreibungsformel ist kein Platz für gebrauchte Raumausstattung vorgesehen. Es wird wohl noch viele Jahre dauern, bis die entsprechenden Verfahren diesbezüglich entstehen werden. Außerdem würde ich mir ernsthafte Sorgen machen, wenn in der Ausschreibung für die „Erstausstattung“ vorgesehen wäre, dass Möbel aus zweiter Hand verwendet werden dürfen. Das wirft Fragen nach der Qualität der gebrauchten Möbel auf, die uns die Auftragnehmer anbieten würden, und nach den Bescheinigungen und Genehmigungen, die beispielsweise die Grundlage für die Hygienekontrolle darstellen. Es liegt noch jede Menge Arbeit vor uns, aber die ersten Wege sind geebnet.

VANK: Bei dem Projekt war es Ihnen wichtig, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Jüngsten zu berücksichtigen. Welche Lösungen können bei der Raumausstattung angewendet werden, die den Bedürfnissen der neurodiversen Kinder entsprechen? Wurde die Zonierung des Raums durch verschiedene Arten von Möbeln unterstützt?

D.S.: Genauso ist es. Jeder Mensch ist anders und hat andere Bedürfnisse. Die Designer von Büroräumen haben das längst erkannt. Sie richten Räume ein, die auf die Bedürfnisse verschiedener Nutzer zugeschnitten sind, und geben soziologische Untersuchungen in Auftrag, die ihre Gestaltungskonzepte untermauern. Wenn es um die Einrichtung von Räumen für die Jüngsten geht, machen sich nur sehr wenige Personen Gedanken darüber, vor allem in den öffentlichen Einrichtungen, wo die Anzahl der Einrichtungsgegenstände und nicht ihre Qualität zählt. Hier wird die Innenraumgestaltung auf ein "Ausstattungsprojekt" reduziert, das dann die Grundlage für die Erstellung der Erstausstattungsliste bildet. Diese Liste ist eine parametrische Beschreibung von allem, was in der Einrichtung vorkommt. Es handelt sich um Hunderte von Seiten, die nur mit Wörtern befüllt sind, oft sogar ohne Anschauungsmaterial. Dies ist eine schwierige und mühsame Arbeit. Sie erfordert vom Autor ein hervorragendes räumliches Vorstellungsvermögen und das Wissen, wie das Produkt so zu beschreiben ist, um überhaupt eine gewisse Harmonie zu erreichen. Oft macht ein Mitarbeiter bei der Ausarbeitung des Angebots für eine öffentliche Ausschreibung durch das bloße Streichen einer einzigen Textzeile unwissentlich die gesamte Arbeit des Innenarchitekten zunichte.

Um auf das Thema der Neurodiversität zurückzukommen: Die Zonierung in Bildungseinrichtungen ist von grundlegender Bedeutung. Die Bestimmungen über die Zonierung von Räumen finden sich bereits in den Gestaltungsrichtlinien und Wettbewerbsvorschriften. Dieses Thema wurde wahrgenommen, und die Architekten beginnen damit, immer bewusster zu planen.

Die Zonierung ist jedoch nur der Anfang, denn sie ist eng mit dem akustischen Komfort verbunden, und ein weiteres Thema, das oft schlicht übersehen wird.

VANK: In der ukrainischen Schule wurden auch psychologische Sprechzimmer für Kinder und ihre Mütter eingerichtet. Könnten diese Räume in Zukunft auch anderen Menschen von Nutzen sein?

D.S.: Aber selbstverständlich, ein Sprechzimmer ist ein Raum für 2-3 Personen, sehr gemütlich mit Tapeten und weichen, bequemen Möbeln ausgestattet, er kann verschiedene Funktionen erfüllen.

VANK: Sie sind bekannt für ein einfühlsames, pro-soziales, zirkuläres Design, also ein Design für Kinder. Das Projekt der ukrainischen Schule haben Sie pro Bono durchgeführt. Das ist die Art von Mission, die man als einen architektonischen und sozialen Erfolg bezeichnen kann. Haben Sie vor, in Zukunft ähnliche Aktionen zu unterstützen, vielleicht für einen anderen Investor oder an anderen Orten?

D.S.: Wir sind immer offen für solche Vorschläge, aber der Architekt, der das Büro leitet, muss sich das finanziell leisten können. Viele Institutionen und Stiftungen bitten uns um Hilfe, wir sind aber nicht im Stande, die ganze Welt zu retten. Wir haben doch selbst Familien, Mitarbeiter, wir müssen alle unseren Lebensunterhalt bestreiten und Rechnungen bezahlen. Ich habe den Eindruck, dass die Leute das nicht immer verstehen. Um öfter helfen zu können, brauchen wir Auftraggeber, die uns helfen, unsere Hilfe zu finanzieren. Das ist die traurige Wahrheit. Ich träume von einem Patronat oder einer Stiftung, die es uns ermöglicht, mehr zu tun.

VANK: Bei dem Projekt der ukrainischen Schule haben mehr als 200 Freiwillige, Privatunternehmen, Spender und Firmen aus der Einrichtungsbranche mitgemacht. Wie haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit mit ihnen in Kontakt zu treten und den Bedarf an Hilfe öffentlich zu machen?

Magda Garncarek: In der Tat war das Ausmaß der Hilfsbereitschaft überraschend. Ich erinnere mich an mein eigenes Erstaunen, als immer mehr Freiwillige – nicht nur Männer, sondern auch Frauen - zu uns auf die Baustelle gekommen sind. Ich muss zugeben, dass ich sogar ein schlechtes Gewissen bekommen hatte, dass wir ihnen eine wirklich anstrengende Arbeit zugemutet haben. Doch am nächsten Tag kamen sie zurück und brachten sogar ihre Familien und Freunde mit. Am Ende des Tages sagten sie, dass sie froh waren, helfen zu können, und dass sie sich für den Rest ihres Lebens an diese Erfahrung erinnern werden.

VANK: Was könnte Organisationen für diese Art von Zusammenarbeit mobilisieren - die Verwendung von recycelten Möbeln, Überschüssen und Produktionsresten? Könnte es etwas mehr sein als intrinsische Motivation?

M.G.: Es gibt ein Sprichwort: Wer will, sucht nach Wegen, wer nicht will, sucht nach Gründen. Ich bin immer für diejenigen, die es wollen, aber wenn man sich auf die Motivation des Einzelnen verlassen muss, wird es schwierig, Lösungen im großen Umfang umzusetzen – aber genau das brauchen wir, wenn wir wirklich ein größeres Gleichgewicht in Bezug darauf, wie wir produzieren und verbrauchen, schaffen wollen.

Durchdachte systemische Lösungen wären daher sehr hilfreich. Dann könnten wir über ein Engagement reden, das nicht nur intrinsisch motiviert ist, weil jemand es so will, sondern vor allem, weil das der moderne Standard ist - oder sein sollte. Und was das anbelangt - angesichts der Klimakrise habe ich hier nicht wirklich eine andere Wahl.

Während der Projektumsetzung der ukrainischen Schule erhielten wir nagelneue Möbel von VANK (vielen Dank dafür!), aber auch gebrauchte (aber noch gut erhaltene) Möbel von Unternehmen, die gerade einen Umzug in neue Räumlichkeiten planten. Es ist schwer, sich das logisch zu erklären, aber gemäß den Vorschriften hätte die bisherige Ausstattung in den bestehenden Räumlichkeiten … entsorgt werden müssen. Wenn man sich die Menge der von der Bauindustrie erzeugten Abfälle ansieht, scheinen solche Vorschriften, gelinde gesagt, an der Realität vorbeizugehen.

Viele Schulen würden gerne Büromöbel verwenden - leider ist das, wie Dorota bereits sagte, in den Ausschreibungsverfahren gar nicht vorgesehen. Manchmal bekommen Elternbeiräte die benötigte Ausstattung aus zweiter Hand, aber das geschieht meist durch die Hintertür, nach dem Prinzip „jemand hat Kontakte in irgendeinem Büro und hat es besorgt“.

Deshalb träume ich, neben der Aktualisierung der Vorschriften, von der Entstehung einer öffentlichen Börse, die die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen Schulen und Firmen erleichtert, was allen Seiten und nicht zuletzt auch der Umwelt zugutekommt.